Unternehmen und Recht

Finanzspritze rollt langsam an

Wer sich kümmert, kann als Landwirt beim Pflanzenschutzmittelkartell nur gewinnen. Die Bäuerliche Geschädigtengemeinschaft hat eine erste Klage eingereicht. Noch kann man beitreten.

Auch fast drei Jahre nach der Aufdeckung durch das Bundeskartellamt (BKartA) erfährt das Pflanzenschutzmittel-Kartell (PSM-Kartell) zum Jahresende wieder erhöhte Aufmerksamkeit. es hat sich einiges getan in dieser Zeit: Hatten die Betriebe anfänglich noch die Wahl zwischen zahlreichen Angeboten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche, gibt es mittlerweile neben der Bäuerlichen Geschädigtengemeinschaft (BGG) nur noch wenige weitere Anbieter. Ein großer Anbieter hat sich ganz aus dem Projekt zuruckgezogen, womit die dort verpflichteten Betriebe von Neuem anfangen mussten. Wer sich noch nicht gekümmert hat, sollte deshalb die verbleibenden Angebote gut prüfen.

Nur Großhändler sind betroffen

Zur Erinnerung, das BKartA hatte mit Bußgeldern von rund 157 Mio. € sämtliche deutschen Großhändler für Preisabsprachen im Zusammenhang mit der Vertrieb von PS bebußt. Einzelhandler (Landhändler) waren weder Teilnehmer des Kartells, noch wurden sie vom BKartA verfolgt. Das ist wichtig fur die geschädigten Betriebe die häufig ein großes trauens vor Ort pflegen. Sämtliche Schadenersatzansprüche richten sich reden die Großhändler und niemals gegen die Einzelhändler.

Das Kartell war im Jahr 2015 aufgeflogen, nachdem die Beiselen GmbH sich selbst beim BKartA angezeigt haue. Die jahrelangen Ermittlungen des BKartA begannen dann mit den Durchsuchungen im März 2015 an vielen Standorten der Großhändler. Dieses Datum markiert zugleich das offizielle Ende des Kartells. Begonnen hatten die Kartellabsprachen Jahrzehnte zuvor im Jahr 1998. Alle Großhändler haben am Ende ihre Tatbeteiligung gegenüber dem BKartA eingeräumt und sind dafür mit mehr oder weniger großen Abschlägen beim Bußgeld belohnt worden. Als Kronzeuge und damit erstes Unternehmen, welches das Kartell aufgedeckt hat, wurde die Beiselen GmbH ganz vom Bußgeld befreit.

Vermutlich alle Landwirte geschädigt

Nach den Feststellungen des BKartA folgten die Kartellabsprachen den Marktverhältnissen und wirkten bis zum Letztabnehmer, auch den Landwirten und Betrieben. Der Markt beginnt bei der Herstellung, wobei die Hersteller von roM keinem Kartellverdacht ausgesetzt waren. Allerdings wird in Deutschland nur Großhändler, wer eine entsprechende Zulassung von den Herstellern erhält. Die Großhändler stimmten seit mindestens 1998 ihre Verkaufspreise für PSM ab. Die jährlich erscheinenden Brutto-Preislisten waren damit Kern des Kartells und für die Einzelhändler Basis ihrer Kalkulation. Weil nun kaum ein Einzelhändler unter Einkaufspreis seine Spritzmittel verkaufen wird, wurde der in den Bruttopreislisten enthaltene Kartellaufschlag an die Landwirte weitergereicht.

Kartelle werden gebildet, um einen wirtschaftlichen Mehrwert für die Beteiligten zu schaffen. Dieser Preisaufschlag auf die gehandelte Ware, der unter Wettbewerbsbedingungen, auch in Abwesenheit eines Kartells, am freien Markt nicht durchzusetzen wäre. Wenn Kartelle dann bestehen bleiben, spricht alles dafür, dass sich die Kartellaospra chen finanzie hr die Kartellabsprachen finanziell für die Kartellanten gelohnt haben. Anderenfalls wäre es wirtschaftlich attraktiver für die beteiligten Unternehmen, durch Kampfpreise Marktanteile, Kunden und Umsätze dazuzugewinnen.

Wie lässt sich der Schaden geltend machen?

Diese wirtschaftlichen Zusam. menhänge bei Zusammenhänge bei Kartellabsprachen sind in der Rechtsprechung als Erfahrungssatz für die Beweisführung anerkannt. Sie helfen den Geschädigten, im Prozess ihren Schaden darzulegen. Denn natürlich hatte kein landwirtschaftlicher Betrieb Einblick in die Kartellabsprachen und die Preisbildung, weshalb regelmäßig nur Einkaufsrechnungen als Beweise vorgelegt werden kön-nen. IIl ral des PoM-Kartells [Im Rahmen des PSM-Kartells] wird im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung davon auszugehen sein, dass allen landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland ein Schaden entstanden ist, die im Zeitraum von 1998 bis mindestens März 2015 PSM erworben haben. Dafür sprechen die dargestellten Marktstrukturen und Art und Weise des Kartells: Der zwischen den Großhändlern verabredete Preisaufschlag ist durch die Einzelhändler an die Betriebe weitergegeben worden. Hier greift auch der Erfahrungssatz, dass ein Kartell mit einer Dauer von Jahren gebildet worden ist, weil es sich für die Kartellanten gelohnt hat.

Wer sich bis heute noch nicht um seine Schadenersatzansprüche gekümmert hat, für den ist es noch nicht zu spät. Allerdings schreitet die Verjährung täglich voran, so dass alle Ansprüche aus PSM-Einkäufen von 1998 bis 2007 mit einem Verjährungsrisiko behaftet sind. Auch sollte man gut prüfen, an welche Anbieter man sich anschließt. Viele Betriebe hatten sich 2020 dem Anbieter agrarclaim angeschlossen. Ein Jahr später hat agrarclaim das Projekt aufgegeben, die Landwirte mussten von vorne anfangen und hatten ein Jahr verloren.

Seriöser Anbieter - gewissenhafte Vorarbeit

Betriebe, die jetzt noch tätig werden wollen, sollten die Angebote am Markt gut prüfen. Beim Anschluss an eine Sammelbewegung kommt es zunächst auf die Größe der Geschädigtengemeinschaft an. Ein Investor, der alle Kosten und Risiken des Verfahrens auf sich nimmt, macht hier nur ernst, wenn er Schadenersatzansprüche im hohen zweistelligen bis dreistelligen Millionenbereich einsammeln kann. Anderenfalls rechnet sich ein Verfahren, das auch gut zehn Jahre dauern kann, nicht. Neben der Größe der Geschädigtengemeinschaft ist eine verlässliche Ermittlung des Schadens vor Klageerhebung unverzichtbar. Hier gilt es Hunderttausende von Rechnungen auszuwerten, um die Höhe des Schadens auch zur Überzeugung des Gerichts nachweisen zu können. Anbieter, die mit Verweis auf allgemeine Studien mit hohen Kartellpreisaufschlägen werben, haben diese Hausaufgaben noch nicht gemacht. Wer sich hier anschließt, weiß noch gar nicht, wie hoch sein Anspruch eigentlich ist.

Schließlich kommt es auf die konkreten Durchsetzungsangebote an: Wer bietet mir angesichts der langen Dauer von Kartellschadenersatzverfahren statt der Teilnahme an einer prozessfinanzierten Sammelklage auch den vollständigen Kauf meiner Schadenersatzansprüche an? Welche Rechnungsjahre kann ich geltend machen? Gibt es verdeckte Kosten, die ich tragen muss? Wie seriös ist das Aussteigen, die Werbung?

Wie geht es im PSM-Kartell weiter?

Jeder Betrieb und Landwirt, der sich um seine Ansprüche kümmert, gewinnt. Dies gilt unmittelbar, wenn man seine Schadenersatzansprüche verkauft. Die aus dem sofortigen Kaufpreis resultierenden außerordentlichen Erträge für längst abgeschriebene Betriebsmittel sind ein schönes Weihnachtsgeschenk. Aber auch beim Anschluss an eine prozessfinanzierte Sammelklage gewinnt man - wenn auch angesichts der langen Dauer von Kartellschädenersatzverfahren - nicht sofort. Der Aufwand, die Rechnungen herauszusuchen, wird mit der Aussicht auf die späteren Erlöse mehr als kompensiert. Eigene Koster fallen nicht an. Nur Geduld sollte man eben mitbringen, denn Gerichtsverfahren im Kartellschadenersatz können auch zehn Jahre oder länger dauern. Von den Anbietern am Markt hat die Bäuerliche Geschädigten. Geschädigtengemeinschaft soweit ersichtlich als Erste im August dieses Jahres eine Klage eingereicht. Es ist zu erwarten. dass die Mitglieder der BGG damit auch als Erste ein Urteil erstreiten können. Der Erfolg hängt am Ende davon ab, wie gründlich man seine Hausaufgaben gemacht hat.

Zitat eines Klägers in der ersten Klage der Bäuerlichen Geschädigtengemeinschaft:

Friedrich Appenrodt, Obstbauer aus dem Rheinland, 63 Jahre alt: „ Ich habe mich schon 2021 der Bäuerlichen Geschädigtengemeinschaft (BGG) angeschlossen und meine Schadenersatzansprüche verkauft. Die BGG ist mir von meinem Bauernverband empfohlen worden und machte auch den besten Eindruck unter den Angeboten am Markt. Das Kartell hat mich jahrzehntelang geschädigt. Vor allem bin ich aber auch über den Verrat am Genossenschaftsgedanken verärgert. Die Großhändler, doch dem Wohl der landwirtschaftlichen Kollegen verpflichtet, haben sich auf deren Kosten hier bereichert. Und die Vorstände und Aufsichtsräte haben eindeutig ihre Aufsichtspflicht verletzt. Das muss doch Folgen haben. Sehr unbefriedigend finde ich es auch, dass das Kartellrecht die Opfer so im Regen stehen lässt. Die Millionenbußgelder kassiert der Staat, aber wir müssen unseren Schaden auf eigene Kosten und volles Risiko durchsetzen. Das geht gar nicht ohne Anbieter wie die BGG. Der Staat müsste hier für Ausgleich sorgen."

Zitat eines Klägers in der ersten Klage der Bäuerlichen Geschädigtengemeinschaft:

Friedrich Appenrodt, Obstbauer aus dem Rheinland, 63 Jahre alt: Ich habe mich schon 2021 der Bäuerlichen Geschädigtengemeinschaft (BGG) angeschlossen und meine Schadenersatzansprüche verkauft. Die BGG ist mir von meinem Bauernverband empfohlen worden und machte auch den besten Eindruck unter den Angeboten am Markt. Das Kartell hat mich jahrzehntelang geschädigt. Vor allem bin ich aber auch über den Verrat am Genossenschaftsgedanken verärgert. Die Groß-händler, doch dem Wohl der landwirtschaftlichen Kollegen verpflichtet, haben sich auf deren Kosten hier bereichert. Und die Vorstände und Aufsichtsräte haben eindeutig ihre Aufsichtspflicht verletzt. Das muss doch Folgen haben. Sehr unbefriedigend finde ich es auch, dass das Kartellrecht die Opfer so im Regen stehen lässt. Die Millionenbußgelder kassiert der Staat, aber wir müssen unseren Schaden auf eigene Kosten und volles Risiko durchsetzen. Das geht gar nicht ohne Anbieter wie die BGG. Der Staat müsste hier für Ausgleich sorgen."

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